Neues vom Ehrenamtstag Oktober 2016

Der AK Asyl Weil der Stadt war zum dritten Ehrenamtstag eingeladen, der dieses Mal unter dem Titel „Engagiert und motiviert – auf dem Weg zur gesellschaftlichen Teilhabe“ stattfand. Wir sind gerne dieser Einladung gefolgt und möchten an dieser Stelle hiervon berichten.

Wir wurden vom Gastgeber Roland Bernhard begrüßt. Als Landrat konnte er einige Fakten speziell für den Landkreis Böblingen darlegen und die Sichtweise des Landkreises vermitteln.

Als Hauptredner war Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun, ehemaliger Integrationsbeauftragter des SWR und Politologe an der Universität Tübingen, geladen. Er beleuchtete in seinem Vortrag die Flüchtlingskrise, wobei er sofort darauf hinwies, dass es sich vielmehr um eine Krise der Flüchtlings- und Migrationspolitik handelt.

Fakten und Mehr

Hier eine kurze Aufstellung der interessantesten Punkte, die wir erfahren haben.

  • Aktuell befinden sich im Landkreis Böblingen etwa 3200 Flüchtlinge in einer vorläufigen Unterbringung. Zählt man die Flüchtlinge in den Anschlussunterkünften hinzu, so befinden sich insgesamt etwa 4500 Flüchtlinge im Landkreis, was ca. 1% der hier lebenden Bevölkerung ausmacht. Das Durchschnittsalter der Flüchtlinge liegt bei 23 Jahren.
  • Insgesamt sind in Deutschland etwa 890.000 Flüchtlinge registriert, wobei man aber davon ausgeht, dass es noch eine Anzahl nicht registrierter Flüchtlinge gibt. Man schätzt, dass etwa 400.000 – also knapp die Hälfte – bleiben dürfen und integriert werden sollen. Knapp 8,2 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit leben schon in Deutschland, das sind 10 % der Gesamtbevölkerung.
  • Weltweit gibt es ca. 65 Millionen Flüchtlinge. Die meisten davon bleiben in ihrer Region, flüchten also im eigenen Land oder in Nachbarländer. Beispiele: 1,2 Millionen Syrer haben im Libanon Schutz gefunden, einem Land halb so groß wie Sachsen. Jordanien beherbergt 1,5 Millionen Menschen bei einer Einwohnerzahl von inzwischen rund 6,5 Millionen – rechnet man dieses Verhältnis auf Deutschland um, so würde dies die Aufnahme von etwa 19 Millionen Flüchtlingen bedeuten. Fast 2 Millionen Syrer sind in der Türkei, bei einer Einwohnerzahl von knapp 79 Millionen. Dieses Jahr sind bisher 3654 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken.
  • Migranten helfen oft mit Geldüberweisungen ihren Angehörigen in ihrer Heimat. Jährlich fließen etwa 435 Milliarden US Dollar auf diesem Weg in Krisenregionen. Dies entspricht etwa dem 3-fachen (!) der weltweiten Entwicklungshilfe aller Staaten zusammen. Diese privaten Hilfen von Migranten für ihre Heimat stabilisieren ganze Regionen und sind eine direkte Bekämpfung von Fluchtursachen.
  • Deutschland bedient sich bei der Entwicklungshilfe eines politischen „Tricks“: Die Entwicklungshilfe sollte eigentlich für Krisenregionen eingesetzt werden, um u.a. den dort lebenden Menschen zu helfen und gleichzeitig direkt Fluchtursachen zu bekämpfen. Jedoch werden aus demselben „Geldtopf“ Kosten für die in Deutschland lebenden Flüchtlinge gedeckt. Durch diese Schönung der Statistik werden also mit der Entwicklungshilfe die Symptome und nicht die Ursachen bekämpft.
  • In Deutschland haben sich ca. 10% der Menschen aktiv an Hilfe beteiligt und ein Drittel der Menschen hat für Flüchtlinge gespendet. Dies ist ein Ausdruck der immensen Hilfsbereitschaft in Deutschland.

Fazit

Eine der zentralen Fragen war, was eigentlich „Integration“ ist. Ab wann ist ein Migrant in Deutschland „integriert“? Sind überhaupt alle Deutschen richtig „integriert“? Man war sich jedoch einig darüber, dass nun – nachdem die Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Nahrung und ein Dach über dem Kopf erfüllt sind – der Hauptteil der Integrationsarbeit erst bevorsteht. Persönliche Kontakte zur übrigen Bevölkerung, wie sie z.B. im Sportverein entstehen, sind wichtig und vereinfachen die Integration ungemein.

Wir müssen uns von der Illusion lösen, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. Sogar innerhalb Deutschlands besteht fortlaufend Migration, z.B. sind mehr Menschen nach Baden-Württemberg gezogen und von dort wieder fortgezogen als heute hier leben – auch hier stellt sich die Frage nach „Integration“. Als eines der reichsten Länder der Welt sollten wir nicht vor der Herausforderung zurückschrecken (zum Vergleich: das Pro-Kopf-Einkommen im oben angesprochenen Jordanien beträgt nur ein Viertel des deutschen, vgl. Artikel in der FAZ), und nicht diffuse Ängste die Oberhand gewinnen lassen.

Die oben angeführten Zahlen rücken die Herausforderung an uns bezüglich der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen in eine Relation, welche global betrachtet nur marginal erscheint. Für den Landkreis Böblingen bedeutet dies (bzgl. Verhältnis Bewohner zu Flüchtlingen) bildlich gesprochen: Wenn wir ein Fest mit 100 Personen feiern und ein neuer Gast kommt hinzu, finden wir dann nicht noch einen Platz für ihn an unserem Tisch?

Wissenschaftler sagen Deutschland kurz gefasst folgende Zukunft vorher: weniger, älter, bunter. Wir sollten also die Flüchtlinge nicht als Problem, sondern als Chance sehen und das Potential dieser Menschen nutzen.

2016-10_Ehrenamtstag
In der anschließenden Diskussion konnten die Teilnehmer Fragen stellen.
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